Fort- und Weiterbildung

Fortbildung: Geschlechterirritationen –
Wie gehen wir im systemischen Kontext mit LGBTQIA* um?

 

TERMIN: 1. und 2. März 2024 (insgesamt 12 Einheiten)
ZEITLICHER RAHMEN: Freitag, 01.03., 10.00 Uhr – 18.30 Uhr, Samstag, 02.03, 9.00 Uhr – 12.30 Uhr
ORT: Seminarhaus der Barmherzigen Schwestern in Laab am Walde, Klostergasse 7-9, 2381 Laab am Walde
TEILNAHMEGEBÜHR: Frühbucherpreis EUR 225,- bis 10.1.24, danach EUR 235,-
ANMELDUNG: per E-Mail an systemischetherapie@oeagg.at

Heute werden Fragestellungen zur Geschlechteridentität im Kontext von LGBTQIA* bereits als eine der bedeutendsten Kategorien der eigenen Lebensrealität wahrgenommen. Der Anspruch von Klient:innen, dass sie in ihrer Psychotherapie auf Systemtherapeut:innen treffen, die eine ausgeprägte Gendersensibilität und
Genderkompetenz aufweisen, ist wohl verständlich. Das erfordert aber auch einen umfassenden Diskurs mit dem Thema Gender. Wir sind folglich aufgefordert, die eigenen, vorgefassten Bilder und Narrative zu hinterfragen, sie zu dekonstruieren und offen zu sein für Neukonstruktionen.

Menschen, die heteronormativen Geschlechterkonzepten nicht entsprechen (wollen), werden sichtbarer. Das ist einerseits eine positive Entwicklung für Betroffene, weil sie selbstbewusster ihren Platz finden können, weil ihre Anliegen besprechbarer werden, weil Heranwachsende Vorbilder finden …

Andererseits führt die Sichtbarkeit aber auch zu Anfeindungen und Abwertungen und die Mehrheitsgesellschaft ist gefordert, einen Umgang mit dieser Entwicklung zu finden. Wenn Menschen nicht mehr nur in Männer und Frauen (Mädchen und Buben) eingeteilt werden, so stellt das eine jahrhundertelang geübte Praxis auf den Kopf. Menschen nicht eindeutig männlich oder weiblich lesen zu können, irritiert, bei manchen löst das sogar heftigere Reaktionen aus.

Gerade in der Systemischen Therapie gehen wir auf die gemeinsame Suche nach Zusammenhängen zwischen den präsentierten Problemlagen und ihren spezifischen Bedeutungszusammenhängen. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Genderforschung finden hier leider viel zu selten Eingang in die Praxis der Therapie.

Diese Fortbildung hat das Ziel, sich mit Geschlechterkonzepten und deren Auswirkung auf die psychische Gesundheit zu beschäftigen. Ein besonderer Schwerpunkt ist dabei die Situation von nichtbinären Heranwachsenden, mit welchen Herausforderungen sie
konfrontiert sind und wie sie begleitet werden können.

Mag.a Gabriele Burgsteiner, Studium der Technischen Chemie, Gruppendynamik und Philosophie mit dem Schwerpunkt feministische Wissenschaftstheorie. Organisationsberaterin, Coach, Lehrsupervisorin (ÖAGG; ÖVS), Gender- und Diversitätsexpertin, Mitglied der Genderwerkstätte Graz, Gleichstellungsbeauftragte des ÖAGG.

Dr. med. univ. Martin Fuchs, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin
(Systemische Therapie, PSY 3). Leitender OA im Landeskrankenhaus Hall i. T., Abteilung Kinder und Jugendpsychiatrie. Begründer der dortigen Sprechstunde für Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen. Vorstandsmitglied in der ÖGKJP (Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie). Mitautor der voraussichtlich 2023 erscheinenden AWMF-Leitlinien „Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter“.

Georg Wieländer, DSA, Sozialarbeiter, Systemischer Psychotherapeut, Mediator, Großgruppenmoderator, Lehrtherapeut mit partieller Lehrfunktion im ÖAGG, Lektor an der FH-Campus Wien.

Geschlecht ist in unserer Gesellschaft nicht nur eine körperliche Eigenschaft, Geschlecht ist eine Ordnungskategorie – sie entscheidet über Zugehörigkeit, Teilhabe, Einflussmöglichkeiten, Sichtbarkeit und vieles mehr. Geschlecht ist genauso ein Konstrukt wie die Binarität der Geschlechter. Dieses Konstrukt ist historisch gewachsen, unterschiedliche Disziplinen und Gruppen haben dazu beigetragen mit dem Ergebnis,
dass wir mit Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts ein binäres und enges Geschlechterkonzept vorfinden wie nie zuvor in der Geschichte. Das hat Auswirkungen für alle Frauen und Männer, die nicht in die sehr eng gefassten Geschlechterrollen passen, und für alle Personen, die sich nicht binär identifizieren, die ihren
Geschlechtskörper als falsch wahrnehmen, die (auch) auf der körperlichen Ebene nicht eindeutig sind, die nicht heterosexuell sind.

Auch wenn sich seit den 1960ern vieles verändert hat, ist unsere Gesellschaft anhaltend binär konstruiert. Es gibt erste Schritte, das Binaritätskonstrukt zu demontieren, aber es gibt auch Positionen, die die Unverrückbarkeit der menschlichen geschlechtlichen Zweiteilung weiterhin vehement einfordern. Es gibt Perspektivenerweiterung und -verengung bis hin zu dogmatischen Positionen an beiden Polen des Diskurses. Sich hier zurecht zu finden, ist sowohl für Betroffene als auch für Begleitende eine Herausforderung.

Gabriele Burgsteiner wird in ihrem Vortrag Orientierungshilfe und Reflexionsangebot geben.

Wie entwickeln Kinder und Jugendliche ihre Geschlechtsidentität? Wie kann das gut gelingen? Was unterstützt eine gesunde Entwicklung, was verhindert sie und wie können Heranwachsende gut begleitet werden? Der zweite Vortrag fokussiert auf Kinder und Jugendliche und die Entwicklung ihrer Geschlechtsidentität. Er beleuchtet diese Phase entwicklungspsychologisch und versucht darzustellen, welche Auswirkungen gesellschaftlicher Erwartungsdruck und die gestiegene Sichtbarkeit der LBGTQIA*-Community auf die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten haben. In den vergangenen Jahren hat sich ein gesellschaftlicher Wandel im Verständnis nonkonformer geschlechtlicher Lebensformen sowie eine weitgehende
Entpathologisierung dieser Entwicklungsvariante bei Kindern und Jugendlichen vollzogen.

Damit einhergehend ist die Zahl behandlungssuchender junger Menschen sprunghaft angestiegen. Die Einordnung unterschiedlicher Entwicklungsvarianten ist nicht immer einfach, die Indikationsstellung zu körperlichen Therapien bei Jugendlichen ist Inhalt fachlicher Kontroversen. In einem aufgeheizten Klima besteht das Risiko, dass nur mehr die scheinbar unvermeidlichen Extrempositionen öffentlich sichtbar werden,
und die Interessen von Betroffenen damit ins Hintertreffen geraten. Was passiert, wenn die Thematik von politischer Seite „abgeschafft“ wird (wie in bestimmten US-amerikanischen Bundesstaaten) und Angebote für Heranwachsende gekürzt oder eingestellt werden?

Martin Fuchs wird einen Einblick in seine berufliche Praxis in der Kinder- und Jugendpsychiatrie geben.

In der Vertiefungsphase dieser Fortbildung wollen wir die Praxis der Systemtherapie mit den Erkenntnissen zu Genderforschung und den Umgang mit Geschlechteridentität zusammenführen und die dafür nötigen Diskursräume öffnen. Beide Vorträge dienen hier als Anstoß, sich mit dem Thema auseinander zu setzen und
die eigene Resonanz zu reflektieren. In Kleingruppen wird dazu vertiefend weitergearbeitet. Die Verunsicherung, die dieses Thema auslöst, betrifft auch systemische Therapeut:innen.

Eine durchgehende Moderation durch Georg Wieländer soll eine gute Verarbeitung ermöglichen. Die Fragestellungen zum Seminarthema werden gemeinsam erarbeitet.

Folgende Leitfragen werden uns beschäftigen:

  • Wie kann es gelingen, mit dieser Verunsicherung konstruktiv zu arbeiten und ein hilfreiches Gegenüber für Betroffene zu sein?
  • Was brauchen wir systemische Therapeut:innen um Menschen in ihrer sexuellgeschlechtlichen
    Emanzipation zu verstehen und zu unterstützen?